Interviews
Die Planung des nicht Sichtbaren | von Alessandra Coppa
Gegenläufig zum diffusen Global Style, der auf gestenreich spektakuläre Architektur der derzeitig in ständiger Veränderung befindlichen Mailänder Skyline zielt, wirken die ‚gemäßigten‘ Maßnahmen des Architekturbüros Asti Architetti wie homöopathische Eingriffe auf der vorhandenen Bausubstanz.Die Sanierung und der Umbau von einst als Büros in historischen Palästen der Mailänder Innenstadt genutzten Immobilien zu Wohnungen bietet die Gelegenheit zur Überprüfung der Architektur als Disziplin und zum Beitrag italienischer Experten im Zeitalter der Globalisierung.
Grundlage des planerischen Ansatzes von Paolo Asti, der zahlreiche Projekte im Zentrum von Mailand betreut, sind die Prinzipien des sorgfältigen Bauens im Sinne des bewussten ‚urbanen Dekors‘ und der Traditionen der Mailänder Meister der Moderne.
Die Tätigkeit von Paolo Asti, den wir in seinem Büro in Via Sant‘Orsola in Mailand trafen, konzentriert sich vor allem auf die Sanierung des Vorhandenen durch die Neuinterpretation des Antiken beeinflusst vom zeitgenössischen Wohnanspruch und unter Berücksichtigung der Marktanforderungen mit einer Architektur, die auf große Gebärden verzichtet und sich mit einer neuen ‚Normalität‘ identifiziert.
Ich habe gelesen, dass sich Ihr planerischer Ansatz auf das Konzept eines Gebäudes als organisches Ganzes und vor dem Hintergrund der baulichen Sanierung beruft. Was bedeutet das?
Mein beruflicher Werdegang hat sich immer im Rahmen des Vorhandenen entwickelt. Ich habe nie außerhalb eines extrem stratifizierten Umfeldes gearbeitet, wo freies Schaffen möglich wäre. Meine Arbeit geht immer von etwas bereits Existentem aus; etwas, das eventuell auch demoliert und komplett neu wieder aufgebaut wird, das aber tendenziell bereits vorhanden war.
Der Begriff ‚organisch‘ bedeutet für mich, dem architektonischen Werk in seiner Komplexität, seinem Lebenszyklus, einen Mehrwert verleihen, der sowohl einem leistungstechnischen Standpunkt als auch hinsichtlich der Anwendung gültiger Regelwerke, die sich im Laufe der Zeit entwickelt oder geändert haben, und nicht zuletzt einer ästhetischen Warte Rechnung trägt.
Ich beschäftige mich mit Immobilien, mit Immobiliensanierung. Alle meine Projekte sind Produkte, die für den Verkauf bestimmt sind. Sie müssen für den Kunden, der diese Quadratmeter kaufen will, attraktiv sein und daher Überlegungen zu Kostenkontrolle und -Überwachung sowohl während des Baus als auch in der After Sales Phase standhalten. Kurz, der meiner Meinung heute absolut nach wichtigste Aspekt bei der Planung ist der ‚Lebenszyklus‘ des Gebäudes.
Die Idee einem Gebäude ‚neues Leben‘ zu verleihen ist speziell in Italien und besonders in Mailand, wo die meisten Ihrer Projekte stehen, interessant.
In Italien liegt das Geschäft heute nicht im Neubau, sondern darin, dem vorhandenen Immobilienvermögen einen neuen Sinn zu geben.
Ausgehend davor konzentrieren sich die meisten Tätigkeiten meines Architekturbüros im alten Stadtkern Mailands und hier speziell in der Sanierung und der Re-Funktionalisierung historischer Paläste, die in Epochen entstanden sind, in denen ganz andere Parameter und Regeln gültig waren als heute. Ich versuche die geltenden urbanistischen Regeln und Anforderungen des modernen Wohnens so gut wie möglich zu interpretieren.
Es gibt Häuser in der Stadt, die obsolet sind, nicht nur wegen ihres Äußeren, sondern wegen ihrer Zweckbestimmung.
Mailand war die erste Stadt, die das Konzept der „transversalen, kompatiblen Zweckbestimmung“ eingeführt hat; ein wichtiger, von den Marktanforderungen diktierter Schritt, der einen wesentlichen Einfluss im restlichen Italien ausgeübt hat.
Die Arbeiten des Studio Asti Architetti kommen mir vor wie ‚homöopathische‘ Eingriffe in das Stadtbild, punktuelle Maßnahmen ohne eklatante Intentionen.
Die meisten meiner Aufträge konzentrieren sich auf die Innenstadt Mailands. Hier haben wir Immobilien, die meist bewohnt sind und an denen eine von einem Investor beschlossene Sanierungsmaßnahme zur Aufwertung durchgeführt werden soll.
Dieser 2000 begonnene Trend fällt mit dem Gründungsdatum meines Büros zusammen.
Es hat eine bedeutende Verschiebung im Immobilienbereich gegeben, denn es wurde verstanden, dass eine sanierte Immobilie einen enorm höheren Marktwert hat.
Dazu war eine korrekte Zweckbestimmung notwendig.
Der Immobilienmarkt folgt präzisen sozialwirtschaftlichen Zyklen. Beispielsweise habe ich zwischen 2000 und 2010 viele Projekte durchgeführt, bei denen die in Herrenhäusern vorhandenen Büroräume in der Stadtmitte zu Wohnungen umgewandelt wurden. Diese Immobilien hatten einen optimalen Standort und hohe architektonische Qualitäten, während die Büros sich nach und nach außerhalb des Stadtkerns angesiedelt haben, in eigenen Bereichen, nachdem auch in Italien das Konzept der Bürostadt angekommen war.
Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends wurde also die Innenstadt wieder für Wohnungen zurückerobert. Dazu haben auch zu Bankeigentum gehörende Immobilien beigetragen, die frei und zu Wohnungen umgebaut wurden. Die Immobilienwelt in Mailand hat sich zwischen 2008 und 2010 sehr verändert.
In Mailand haben Sie Paläste in Via Cusani, Via dell’Orso, Foro Bonaparte, Largo Cairoli, Via Borgonuovo, Via Moscova saniert … können Sie uns ein besonders relevantes Projekt beschreiben?
Es fällt mir wirklich schwer, mich auf eines festzulegen. Ein für mich sehr interessanter Auftrag – und ich spreche nicht von gutem oder schlechtem Gelingen, sondern unter dem vorhin beschriebenen Aspekt – ist das Projekt, das wir mit der Versicherungsgesellschaft Generali in Via Moscova 58 durchgeführt haben.
Ziel war es, das Gebäude neu aussehen zu lassen, obwohl es bereits vor 50 Jahren errichtet wurde, und die Fassade so zu gestalten, dass sie sich wieder in das innerstädtische Bild einfügt. Auflagen waren ein geringer Kostenaufwand, die maximale Nutzung der gesetzlich zugelassenen Flächenerweiterung und mindestens 50 Prozent der Bewohner sollten während der Bauarbeiten in ihren Wohnungen bleiben.
Hier kam Keramik zum Einsatz, denn die Hersteller haben die vom Markt diktierte Lage am besten interpretiert, das heißt Baumaßnahmen auf vorhandener, bewohnter Bausubstanz mit limitiertem Budget.
Inwiefern hat Keramik die Bauarbeiten hier unterstützt?
Es gibt Baustoffe, die aus den Anforderungen eines Bauvorhabens hervorgehen, die besagen, dass vorhandene Strukturen erhalten werden müssen, die zu Beibehaltung eines Status Quo beitragen und technisch keine völlig neuen Denkansätze verlangen. Keramik qualifiziert sich in diesem Sinne als ein ideales Produkt, auch wegen der flexiblen Formate, speziell der besonders großen Platten, die ästhetisch sehr befriedigende Ergebnisse erzielen und leicht zu verlegen sind. Ich plane großformatige Keramik häufig in meinen Projekten ein. Das Endergebnis muss bei der Planung von Anfang an klar und alle Schritte und Maßnahmen vom ersten Moment an eingeplant sein. Fachleute, die sich mit Immobiliensanierung beschäftigen so wie wir, müssen sich dies immer vor Augen halten.
Sie sind also der Ansicht, dass die Keramikindustrie flexible Produkte für Architekturobjekte bietet?
Ich muss sagen, dass Keramikprodukte heute in den verschiedensten Formen gefertigt werden. Es ist eine bemerkenswerte Sparte, die sich bewundernswert neu erfunden hat. Keramik hatte einen Sättigungspunkt erreicht und wurde traditionell als ein widerstandsfähiges, pflegeleichtes Produkt betrachtet, dass auf bestimmte Räume beschränkt war. Heute hat sich dieses Material freigeschwommen und nutzt die optimierten Leistungsmerkmale und Sortimente, die wirklich zu einer Verschönerung das Ambiente mit interessanten Optiken beitragen wie Reproduktionen von Naturstein und Marmor. Der Einsatz von Reproduktionen war früher bei Architekten, die etwas auf sich hielten, schlicht verpönt, aber das hat sich heute zum Glück geändert.
Ich kann versichern, dass dieser Baustoff für jemand, der ein Produkt verkauft, bei dem Langlebigkeit, Kostenkontrolle und hochwertige ästhetische Ergebnisse eine zentrale Rolle spielen, die ideale Lösung ist.
Die Beziehung zwischen natürlich und menschgeschaffen und des Künstlichen und des neuen Künstlichen der Keramikwelt wurde bereits vielfach diskutiert.
Es gibt die Verfechter des Standpunktes, dass es falsch ist ein Material zu verwenden, das vorgibt ein anderes Material zu sein. Vergessen wir dabei aber nicht, dass der Einsatz von Naturstein und Marmor die Umwelt schädigt. Der sparsame Einsatz von Naturstein unterstützt nicht nur den Schutz unserer natürlichen Ressourcen und Naturlandschaften, sondern zeugt schlicht von gesundem Menschenverstand.
Die Belohnung für den Einsatz von Keramik mit Holz- oder Natursteinoptik ist die sehr große Qualität.
In Kürze beginnen wir mit den Sanierungsarbeiten des Hotel The Big für Unipol Sai im Mailänder Viertel Porta Nuova, für dessen komplettes Finish wir Keramik vorgeschlagen haben.
Gilt dieses Bestreben eine Art ‚Normalität‘ beizubehalten und großartige Gesten unter allen Umständen zu vermeiden auch für die Fassadengestaltung?
Bei der Wahl der Fassaden gehe ich sehr respektvoll vor und schaue mir das im Laufe der Zeit sedimentierte Geflecht der Stadt an. Meine Projekte können als ‚kosmetischer‘ Eingriff verstanden werden, der zur Verschönerung der Stadt und ihrer Ausstrahlung dient. Wir Planer müssen wieder einen ‚urbanen Sprachgebrauch‘ finden, der sich auf die Grundprinzipien unseres Berufsbildes beruft und sich vom allgegenwärtigen Global Style distanziert.
Ihre Identität und stilistisches Kennzeichen ist (paradoxerweise) also die ‚urbane Unsichtbarkeit‘ der Baumaßnahme?
So könnte man es sagen. Ich muss aber dazu auch sagen, dass die Architekturobjekte, an die sich die Leute erinnern, meist ikonischer Art sind, sie müssen einen Überraschungseffekt haben. Andrerseits ist diese Art von Architektur das Ergebnis der Globalisierungen und kann zum Manierismus führen. Wenn ein in New York errichtetes Objekt auch in Dubai akzeptabel ist, dann stimmt meiner Meinung nach etwas nicht; dann wird es zum Global Style. In Italien erleben wir diesen Trend im Moment auch und das empfinde ich als negativ. Unsere Architektur und Kultur ist enorm, aber wir passen uns gerade den anderen an und nicht umgekehrt. Wir müssen festhalten an unseren Planungsmethoden, die wir in langen Jahren konsolidiert haben.
Biographie
Der Architekt Paolo Asti wurde am 4. September 1963 in Mailand geboren. Er schließt sein Architekturstudium mit Fachrichtung Planung 1990 an der Technischen Hochschule Mailand ab. Im Jahr 2004 gründet er in Mailand das Architekturbüro „Asti Architetti“, das heute in den Räumen in Via Sant‘Orsoloa 8 seinen Sitz hat. Für seine Projekte arbeitet er mit externen Fachleuten für Anlagenbau und Ingenieurwesen zusammen.
Das Portfolio des Studio Asti umspannt Wohnungs- und Gewerbebau.
Im Mittelpunkt steht die Planung von Architekturobjekten mit besonderem Interesse an Gebäuden als Ganzes in einem Konzept des Redevelopments.