Interviews
Architektur: Design der Luft und des Lichts | von Elena Pasoli
In Tokyo im lebendigen Stadtviertel Shibuya befindet sich das Nakatani Studio, eines der interessantesten und vielseitigsten japanischen Planungsstudien. Was uns bei der Ansicht der umgesetzten Projekte – und auch der Art, auf die sie auf der Website des Studios präsentiert werden – beeindruckt hat, ist die Integration, die aussagekräftige Synthese zwischen Technologie, der planerischen Strenge und einer poetischen, humanistischen Dimension, die der Phantasie auch über die Grenzen des Sichtbaren hinaus freien Lauf lässt.
Arch. Shunji Nakatani, erzählen Sie uns bitte von ihrer Berufslaufbahn: Wann wurde Ihre Studio gegründet?
Nach dem Studienabschluss an der Universität Kyoto habe ich zehn Jahre lang im Team des Arch. Hiroshi Hara (ein mehrfach preisgekrönter japanischer Architekt, Jahrgang 1936, emeritierter Professor an der Universität Tokyo, Anm. d. Red.) gearbeitet, wo ich lernte, nach seiner Vision und seinen Grundsätzen zu planen. Im Jahr 2000 beschloss ich, mich selbstständig zu machen und mein eigenes Architekturstudio zu gründen. Ich hatte den Bedarf, mich selbst herauszufordern, zu begreifen, wie meine Projekte aussehen würden, wie ich meine eigene Art, ein Gebäude zu sehen und auszudenken, schaffe würde.
Ich habe bemerkt, dass Sie Ihre Projekte gerne mit Titeln bezeichnen, die nicht so sehr technisch, sondern vielmehr poetisch klingen. Ich denke etwa an Ihre programmatische Erklärung „Das architektonische Design ist das Design der Luft“: Welchen Wert hat die poetische Vision in Ihrer Arbeit?
Das Wichtigste ist für mich bei der architektonischen Planung das Gefühl der Atmosphäre, das ich im Moment, in dem ich einen Raum betrete, empfinde. Dieser Eindruck wird nicht nur durch die Form und die Materialien, sondern auch durch die Art, wie das Licht eintritt und je nach Tages- und Jahreszeit wechselt, beeinflusst. Es ist etwas ständig wandelndes, und die Empfindung der Luft selbst ist von Moment zu Moment unterschiedlich. Ich denke, dass das Bewusstsein, diese Atmosphäre zu planen, die wichtigste Stellungnahme bei der Planung der Architektur ist.
Sie haben viele Länder bereist, zwei Jahre lang in London gelebt und gearbeitet und dann ein Buch über diese Erfahrung geschrieben, „Archi Travel: A Journey Through Architecture“. Wie haben diese Reisen Ihre Arbeit beeinflusst und welches der 25 Länder, die Sie besucht haben, können wir am stärksten in den Atmosphären Ihrer Projekte wiederfinden?
Wie bereits gesagt war ich in den ersten zehn Jahren nach dem Studienabschluss ganz und gar damit beschäftigt, zu denken, wie mein Meister geplant hätte. Als ich beschlossen habe, mich selbstständig zu machen, wollte ich die Architektur von Anfang an studieren, so habe ich zwei Jahre mit Reisen nach Europa, in die USA, nach Ägypten und nach Indien verbracht und dabei versucht, die zeitliche Abfolge der Architekturgeschichte möglichst einzuhalten. Dabei habe ich Orte besucht, die vom klassischen zum modernen reichten. Die Architektur, die mich enttäuscht hat, war oft die moderne, die darauf abzielt, förmlich bizarr zu sein. Ich hatte einen starken Wunsch, eine „neue“ Architektur zu planen, aber meiner Meinung nach sollte sie bezüglich der Form nicht exzentrisch sein. Und davon bin ich noch immer überzeugt. Im Gegenteil, ich habe entdeckt, dass die Architektur, die mich berührt und bewegt, eine Botschaft in der Luft, die mich beim Eintreten in den Raum umgibt, trägt. Wie kann ich diesen Sinn von Atmosphäre erzielen? Daran denke ich ständig, während ich die Architektur plane.
In einem Ihrer am häufigsten veröffentlichten Projekten, der Mid-Air Garden Observatory Gallery im Umeda Sky Building, haben Sie Fliesen aus italienischer Keramik verwendet, die die Wärme und Beschaffenheit von Holz sehr inspirierend nachahmen. Verwenden Sie oft Keramik in Ihren Projekten?
Das Umeda Sky Building wurde in der Times als einziges Gebäude in Japan zu den „20 Top Buildings in the World“ gezählt. Seit seiner Eröffnung 1993 hat die Anzahl an Besuchern des Observatoriums Mid-Air Garden im letzten Stock des Umeda Sky Buildings 20 Millionen überschritten! Zum Zeitpunkt seiner Errichter war ich als Projektleiter im Büro des Architekten Hara Hiroshi an der Planung des Umeda Sky Buildings einbezogen. Angesichts dieser Erfahrung wurde ich dann aufgerufen, mich um die Planung der Renovierung zum Anlass des 25. Jahrestages der Eröffnung des Gebäudes zu kümmern. Das komplexeste Problem, mit dem ich fertig werde musste, war die Tatsache, dass wir uns im 40. Stock des Wolkenkratzers befanden, weshalb die Auflagen für die Fußbodenbelastung sehr streng waren. Außerdem war es aufgrund der großen Anzahl an Besuchern, darunter auch denen aus Übersee, notwendig, die Errichtungsdauer möglichst kurz zu halten und den Bereich komplett zu schließen. Deshalb haben wir beschlossen, die bestehenden Fliesen und Steine nicht zu entfernen, sondern große italienische Fliesen direkt über den bestehenden Materialien verlegt. Auf diese Art war der Anstieg der Last akzeptabel und die Höhendifferenz des Fußbodens minimal. Da die Geschäftszone sich im Bereich des Observatoriums befindet, haben wir Fliesen gewählt, die die Beschaffenheit von Holz haben, um sie von den anderen Galerien zu unterscheiden. Mit 1,5 Millionen Besucher im Jahr wäre die Dauer des Fußbodens aus echtem Holz ein Problem, aber mit diesen Fliesen hatten wir absolut keinen Grund zur Sorge. Dank dieser Wahl haben wir viele Personen glücklich gemacht!
Was ist Ihrer Meinung nach das Hauptmerkmal der italienischen Fliesen?
Ich sehe Fliesen, die die Beschaffenheit von Holz, Stein, Metall usw. nachahmen. Die Textur kann nicht von den echten Materialien unterschieden werden, und die zahlreichen Varianten zeigen den Geschmack, die Hartnäckigkeit und das hohe Technologieniveau der Italiener.
Welche Auswirkungen hatte die Pandemie in Japan auf das Bauwesen? Denken Sie, dass das Design durch diesen beispiellosen dramatischen historischen Moment beeinflusst wurde?
In das Umeda Sky Building kamen viele Touristen aus der ganzen Welt, aber aufgrund der Pandemie ist die Anzahl der Besucher aus Übersee auf Null gesunken. Hätte es keine Pandemie gegeben, hätte es die ganze japanische Bevölkerung gar nicht erwarten können, die Gäste aus der ganzen Welt bei den olympischen Spielen in Tokyo zu unterhalten. Es ist schade, dass das nicht möglich war. Verschiedene Dinge haben sich geändert: Wenn ich zum Beispiel an die Bürogebäude denke, stelle ich mir vor, dass die Telearbeit, die sich aufgrund der Pandemie verbreitet hat, auch in der Zukunft aufrecht bleibt. Es könnte wirklich sein, dass kein Bedarf mehr nach enormen Gebäuden für die Büros besteht. Und da stellen sich viele Fragen: Welchen Zweck hat es, ein Bürogebäude zu planen? Welche Art von Atmosphäre ist nötig? Was ist ein Bürogebäude? Sehen Sie, wir müssen neu definieren, was genau ein Bürogebäude ist.
Welches Projekt liegt Ihnen am meisten am Herzen und spiegelt das Wesen Ihres Designs am besten wider?
Die Erneuerung der Mid-Air Garden Observatory Gallery im Umeda Sky Building zu planen war sehr spannend. Wir haben für die Decke halbverspiegelte Aluminiumplatten verwendet, und ich denke, dass es uns gelungen ist, den Himmel in den Raum zu bringen, dessen Farbe und Licht jeden Moment neu diffus reflektiert wird. Das Ergebnis: Bei Aufstieg in das Observatorium hat man das Gefühl, im Himmel zu sein.
Was wünschen Sie sich heute für sich selbst?
Ich hoffe, weiterhin bis ins 80. Lebensjahr leidenschaftlich Architektur zu planen und zumindest ein Architekturwerk im Leben zu planen, mit dem ich hundertprozentig zufrieden bin.
August 2021