Visionen der Vernunft | von Alessandra Coppa

Wie könnte man Ihren Planungsansatz beschreiben? Was bedeutet das, wenn Sie sagen, „Architektur muss eine Idee (Vision) beinhalten, im Sinne einer besonderen Interpretation der Aufgabe?“

Architektur ist ein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft und ihrer Kultur.

Architektur muss in die allgemeine Gesellschafts- und Kulturkritik einbezogen werden. Das heißt also, dass es wichtig ist, eine klare Position zu beziehen, um eine Auseinandersetzung zu erzeugen. Architektur muss eine Idee oder eine Vision beinhalten, im Sinne einer besonderen Interpretation der Aufgabe und der Kontrollfaktoren. Das kann beispielsweise der öffentliche Raum oder das einzelne Gebäude sein. Es könnte aber auch einfach eine neue Bedeutung für traditionelle Formen sein. Einige Projekte können radikal erscheinen, wenn man diesen Maßstab anlegt. Radikalismus als Ausdruck einer schlüssigen Lösung ist jedoch notwendig und nutzbringend.

Während eines Umbaus beispielsweise kann ein Hinzufügen bzw. Eliminieren von einzelnen Gebäuden oder Fragmenten einen neuen Zusammenhang kreieren, der bestehende Figuren überzeichnet. Das kann eine Weiterführung des Vorgefundenen sein oder eine Neuinterpretation beispielsweise des Typus sein. Es ist wichtig, nicht dem Modell der simplen Rekonstruierung oder eines „akademischen“ Modernismus zu verfallen. Dadurch wird eine Transformation des Raumes erzeugt, der die Mängel des Bestehenden aufheben bzw. die Qualitäten fortführen und verstärken soll. Der Ursprung sollte sowohl für den Betrachter als auch den Laien verständlich sein.

(Fotos: Michael Frank, Francoforte)

Sie haben viele private Bauvorhaben realisiert: Wie sehen Sie die Beziehung Ihrer Objekte zwischen innen und außen?

Der Architekt muss sich des dialektischen Verhältnisses zwischen innen und außen, der Hülle und dem Einbau, und damit der komplexen Struktur der Architektur bewusst werden. Zur Schaffung einer integrativen Architektur sind die Prinzipien der Ordnung des Raumes innen und außen gleich. Die Wohnzelle ist der Grundstein der Architektur und damit auch des Städtebaus. Die Feststellung des Innen und Außen ist eine Frage des Standortes und der räumlichen Erfahrung. Innenarchitektur beschränkt sich nicht nur auf Oberflächen, sondern ist ein nach allen Seiten hin komplexer Kontext. Es ist nicht eine Frage des Maßstabes, sondern der Fokussierung. Ein interessanter Ansatz zum Thema innen und außen stammt von Le Corbusier: Das Wohnhaus sollte wie ein Architekturspaziergang sein, der durch etwas hindurch führt. Architektur setzt sich so aus einer Kombination von Landschaft und Wohnwelt zusammen.

In welcher Weise setzen sich Ihre Projekte mit dem Umfeld auseinander?

Die ortsbezogenen Vorgaben sind uneingeschränkt Faktoren des architektonischen Projektes (sowie z.B. auch das Klima, wie schon von Bruno Taut beobachtet), die nicht zu vernachlässigen sind. Aber es darf nicht das Prinzip werden, die Abhängigkeiten zur Hauptsache zu machen, sondern weiterführende Konzepte zu entwickeln, die sich an einer übergeordneten Idee orientieren und zu einer Absichtserklärung werden

Der Entwurf darf sich nicht allein an überlieferten Mustern richten, sondern muss sich den wandelnden Anforderungen anpassen. Das bedeutet manchmal auch ein Hierarchiesystem zu beachten, das nichts anderes ist als das Ergebnis der übereinander geschichteten Elemente.

Es geht darum, die Auseinandersetzung zu suchen und eine Sprache zu entwickeln, die verständlich bleibt.

Sie haben an vielen Hochschulen in Europa gelehrt, darunter auch die Technische Hochschule in Mailand und die Akademie in Mendrisio. Was muss den neuen Generationen vermittelt werden?

Während meiner Lehrtätigkeit in Karlsruhe und Detmold war ich unter anderem auch an der Technischen Hochschule in Mailand tätig, wo wir das Thema der Stadt untersucht haben. Im Rahmen eines Besuches des beratenden Städtekommitees der Stadt Frankfurt hat mich Professor Gubler zu einer Konferenz zum Thema der Peripherien an der Architekturakademie in Mendrisio eingeladen. In Udine habe ich Vorlesungen an der Universität gehalten und habe die Diplomarbeit eines Studenten betreut, der sich mit einem Viertel in Frankfurt beschäftigt hat. Zum Thema der Lehre stimme ich dem Gedanken von Luigi Snozzi zu: „Das Projekt ist ein Prozess der Wahrnehmung, des Wissens und des Wandels der menschlichen Existenz.“ Meiner Ansicht nach sollte das Architekturstudium möglichst zu einer kritischen und verantwortungsbewussten Person führen, die sich mit den Problemen unserer Zeit nicht in oberflächlicher Weise auseinander setzt. Dabei ist aber die Erscheinung bzw. Rezeption des Projektes aus Sicht des Betrachters von besonderer Bedeutung. Das Ergebnis des Studiums sollte die Umsetzung einer mehrschichtigen Vision von Raum sein.

Was halten Sie vom planerischen und schöpferischen Potenzial von Keramikmaterial?

Keramik ist ein historisches Material, dass immer schon eine besondere Stellung in allen Epochen der Baugeschichte hat. In Mailand sind vor allem die wunderbaren Gebäude von Luigi Caccia Dominioni ein Beispiel für den besonderen Einsatz von Keramikmaterial auch auf den Außenfassaden, eine für diese Zeit typische Technik. Ich glaube auch, dass Keramik im Rahmen der zeitgenössischen Architektur einen wichtigen Beitrag zu Schaffung einer Atmosphäre in der Innenarchitektur leisten kann.

Biographie

Klaus Hannappel
* 17. August 1961
Studium an der RWTH Aachen, GH Universität Kassel (Diplom)

1986-1992 Mitarbeit in den Büros
PAS Jourdan, Müller, FFM und DDW Dudler, Dudler, Welbergen, FFM
Gregotti Associati Int., Mailand/Italien

1993 – 2018
Selbständiger Architekt, Projekte u.a.

Versch. Wohnhäuser, Auszüge s. Projektfotos

Bürogebäude (Innenarchitektur)
– DekaBank Luxemburg, Am Senningerberg, (2000/01/02)
Innenraumplanung der DekaBank Luxemburg, ca. 16.500 qm Nutzfläche
– Hochhaus Skyper (Höhe ca. 155m), Taunusanlage 1, FF/M (2003/04/05)
Innenraumplanung Allgemeinflächen Erd- und Obergeschosse
(beide in Zusammenarbeit mit Dipl.-Ing. Beate Weller)

Öffentliche Gebäude (KITA, Schulen)
– KITA Bismarckstraße, Eschborn (2010/11/12)
– Liebigschule, FF/M, versch. Umbauten (2010-16)
u.a. Sanierung und Neugestaltung Turn-, Schwimmhalle
– Bonifatiusschule, versch. Umbauten (2015-17)
– Robert-Schumann-Schule (2017/18), Umbauten, Erweiterung
u.a. Schulerweiterung in Holzmodulbauweise

Ausstellungsarchitektur
Museum für Kommunikation, u.a. (2000-03)
Ausstellungen Satelliten, FF/M und Der Brief, Nürnberg,
Geschichte der Gebrauchsanweisung, FF/M
Jüdisches Museum, FF/M, Ausstellung „Neue israelische Kunst“ (2008)

Lehre
Universität Karlsruhe, Lehrstuhl für Gebäudeplanung (1996/97/98/99/00/01)
Stadtgrenze und Peripherie am Bahnhof Lambrate in Mailand/Italien
Fachhochschule Lippe / Detmold, FB Innenarchitektur (2002/03)
Quartiersbebauung an der Via Margenta, Mailand/Italien
Fachhochschule Rhein-Main Wiesbaden, FB Architektur (2009-2018)

seit 04/1992
Mitglied der Architektenkammer Hessen
seit 08/2002
Mitglied des Bundes Deutscher Architekten, BDA
seit 2014
Mitglied Eintragungsausschuss Architektenkammer Hessen

 

Juli 2018