100 Jahre Bauhaus: klassische Moderne | von Pierluigi Masini

Es ist ein runder Geburtstag – 100 Jahre – der verdientermaßen Aufmerksamkeit weckt. Das ist auch an der Vielzahl an Events abzulesen, die weltweit zum 100. Jubiläum der Bauhaus-Gründung stattfinden. Im Fokus stehen nicht nur die Werke, die in diesen wundervollen 14 Jahren von 1919-1933, dem Jahr der Machtergreifung der Nationalsozialisten, erschaffen wurden, sondern auch die tiefgreifenden Spuren, die diese kulturelle Strömung der jüngeren Moderne in unterschiedlichsten Bereichen hinterlassen hat. Das Bauhauserbe ist auch heute noch überaus präsent. Die neue Vision von Kunst und Handwerk, die vor einem Jahrhundert von Frauen und Männern gelebt und in unterschiedlichste Formen gebracht wurde, ist heute noch ein hochaktuelles Modell für die Designwelt.

Aktualität besitzt diese Vision, weil sie ein ganzheitliches Konzept verfolgte. Bauhaus, das war ein besonderes Verständnis von Baukunst, der Kunst also, eine Wohnung, ein Gebäude von außen und von innen als Einheit zu denken und zu erschaffen. Das Bauhaus steht für wirkmächtige Visionen, globales Denken, Schnittpunkt von Kunst, Architektur, Design und Handwerk, auch unter Einbeziehung von visueller Kommunikation, Mode und Theater. Das Bauhaus war ein Manifest moderner Lebensart und Lebensfreude, sicherlich auch in ideologischer Hinsicht. Dieser umfassende, auf (nahezu) alle Ausdrucks- und Kunstformen ausdehnbare Designansatz ist auch heute noch richtungsweisend.

Er ist deshalb richtungsweisend, das sollte noch einmal unterstrichen werden, weil alle Designer Kohärenz erreichen möchten, ohne dass es jemals wirklich gelingt. Bisher ist keine andere so organische Vision mit innerer Kraft am Horizont erschienen, die geeignet ist, die Dinge von unten beginnend aufzubauen, Innenarchitektur von den Ausbaumaterialien bis zum Einrichtungselement, zu Keramiken und Möbeln mit Architektur zu verbinden. Vielleicht ist das Bauhaus genau deshalb für uns so wichtig, deshalb trauern wir ihm nach und deshalb feiern wir es.

Vor dem Bauhaus hatte nur der Futurismus eine ähnlich prägende Wirkung gehabt. Auch der Futurismus wird in regelmäßigen Abständen wieder hervorgeholt und in Ausstellungen präsentiert. Das Manifesto von Marinetti, mit dem er die futuristische Bewegung begründete, war am 20. Februar 1909 auf der ersten Seite von Le Figaro erschienen. Der Futurismus war aber im Wesentlichen eine künstlerische Strömung, die zeitweilig Einfluss auf die Architektur (wir erinnern an die Projekte für eine futuristische Stadt von Antonio Sant’Elia, der bereits im Alter von 28 Jahren verstorben war) und mit Fortunato Depero und Giacomo Balla auch auf die Innenarchitektur gehabt hatte. Auch der Dichtkunst, der Literatur, der Mode und dem Theater lieferte er starke Impulse. Die Futuristen lehnten vehement den Vergangenheitskult der Kunstakademien ab, zogen aber nie die Gründung einer eigenen Schule und damit die Schaffung einer eigenen Struktur in Erwägung. Sie waren sehr weit von diesem Gedanken entfernt – genau darin lagen sowohl ihre Stärken wie auch die Grenzen für eine Fortdauer ihres Einflusses. Der Gedanke, eine Schule zu gründen, mit verschiedenen Schulfächern, einem eigenen Gebäude und mit einem dreijährigen Ausbildungszyklus war von Anfang an das besondere Merkmal der Bauhaus-Idee. Der erste Sitz in Weimar war nichts anderes als eine staatliche Schule, die auf Anregung von Walter Gropius vier Monate nach Gründung der Weimarer Republik entstand und die er als erster Direktor leitete. Die Geschichte der Bauhaus-Schule ist nicht von den politischen Entwicklungen in der Weimarer Republik trennbar, der Aufstieg Hitlers führte zu ihrem Ende. Zu den zentralen Punkten von Gropius Bauhaus-Programm gehörte der Gedanke, zeitgemäße Bauten zu schaffen. Er verfasste ein Programm, mit dem er seine Vision Punkt für Punkt umsetzen wollte. Wie kann das Haus der Zukunft konstruiert werden? Gropius wollte Kunst und Handwerk, die von den klassischen Akademien bis dato unterschiedlichen Kategorien zugeordnet wurden, wieder verschmelzen. Das Bauhaus lehnte die klassischen Schemata von Künsten der Serie A und solchen der Serie B ab, alle seien Bestandteil der Baukunst und trügen gemeinsam zum „Einheitskunstwerk“ bei. Das Bauhaus sprach nicht mehr von dekorativer Kunst, weil die ganzheitliche Sicht auf das Bauwerk dazu führte, dass der Innenausbau, beispielsweise Holzverkleidungen oder Teppiche, in Bauprojekten für Häuser in den zwanziger Jahren eine größere Bedeutung erlangten, weil sie als wesentlicher Bestandteil der Baukunst galten.

Walter Gropius

Walter Gropius war der erste Direktor der Bauhausschule in Weimar, Ludwig Mies van der Rohe war ihr letzter, in Berlin. Der Bauhaus-Stil breitete sich in der Folge in aller Welt aus, vor allem in Amerika, wohin einige der wichtigsten Vertreter auswanderten: Gropius selbst und Marcel Breuer unterrichteten in Harvard, Mies van der Rohe in Chicago, Josef Albers am Black Mountain College, László Moholy-Nagy gründete das „New Bauhaus“, ebenfalls in Chicago. So befruchteten ihre Ideen und Visionen von Modernität und Projektkultur viele junge Studenten und auch heute noch leben ihre Lehren und Visionen fort.

Dies gilt auch für die Keramikwelt: Man denke an die heutige Keramik und ihren Wandel innerhalb weniger Jahrzehnte von der Küchen- und Badfliese zum hochmodernen Gestaltungselement in Design und Architektur, an die Fähigkeit, sich in unterschiedlichste Ambiente einzufügen. Wir können daher mit Fug und Recht sagen, dass sich die Wurzeln dieser Entwicklung im Bauhaus finden lassen.

 

Dezember 2019